Nach Apels Tod wird der Garten unter den Erben aufgeteilt, gelangt 1787 in den Besitz des Kaufmanns Erdmann Traugott Reichel (1748-1832) und damit auch zu dessen Namen. Reichel lässt die Apelsche Manufaktur abreißen und in den Jahren 1789-92 auf dem Gartenareal zwei stattliche Häuser errichten: Der erste Bau, ein Wohnhaus mit 23 Fensterachsen, steht quer zur Hauptachse des Gartens und bildet den westlichen Abschluss der zentral gelegenen Grünanlage. Ein Torbogen führt zu den Säulengängen (Kolonnaden) die beide Seiten der späteren Kolonnadenstraße markieren. Reichels Quergebäude wird 1849 um ein Geschoss aufgestockt und erhält bald darauf eine neue Historismusfassade sowie Ladenlokale im Erdgeschoss. Das dreiflügelige Reichelsche Vorderhaus, östlich des Pleißemühlgrabens gelegen, dient u. a. als Domizil der Besitzerfamilie. Reichels älteste Tochter Christiana Dorothea (1781-1857, verheiratete Heine) bringt 1819 hier ihren ersten Sohn Ernst Carl Erdmann zur Welt. Damals ahnte noch niemand, dass dieser einmal Jura studieren und später als Industriepionier der westlichen Vororte eine der berühmtesten Leipziger Unternehmerpersönlichkeiten werden sollte. Auch Heines spätere Frau Dora Trinius lebte als eines der Nachbarskinder im gleichen Haus.
Als einziger Zugang führt eine enge Tordurchfahrt im Reichelschen Vorderhaus mit anschließender Brücke über den Mühlgraben zur Hauptachse des Gartens, ab 1845 Dorotheenstraße, seit 1912 Otto-Schill-Straße genannt. Dies erweist sich zunehmend als Verkehrshindernis, Abhilfe schafft 1890 der Abbruch des nördlichen Gebäudeflügels. Im Folgenden entstehen hier nach Plänen des Architekten Paul Jacobi zwei symmetrisch gestaltete Eckbauten in den prachtvollen Formen der Neorenaissance. Die beiden Wohn- und Geschäftshäuser sind gegenwärtig in Universitätsbesitz bilden noch heute das Tor zur Westvorstadt.Doch auch der verbliebene Teil von Reichels Vorderhaus entsprach inzwischen nicht mehr den neuen Maßstäben zeitgemäßer großstädtischer Bebauung. Daran konnte auch das ebenso beliebte wie traditionsreiche Café Metz im Erdgeschoss mit seinen täglichen Konzert- und Varietéaufführungen nichts ändern.
An gleicher Stelle wird in den Jahren 1914/15 der moderne Geschäftshausneubau Rathausring 13 (das heutige Lipanum) errichtet. Die Pläne dafür liefert der aus Norwegen stammende Architekt Peter Dybwad (1859-1921), bekannt durch den Bau des Reichsgerichtshofes 1888-95 zusammen mit Ludwig Hoffmann.
Auch die schmale Tordurchfahrt im Reichelchen Quergebäude, mittlerweile Dorotheenpassage genannt, erweist sich mit zunehmendem Verkehr immer wieder als Nadelöhr. Um 1912 kursieren mehrere Neubauprojekte mit zwei einzelnen Eckhäusern, von denen jedoch keines zur Ausführung gelangt. Somit wird dieses Problem durch die Zerstörungen des II. Weltkrieges „gelöst“. Danach sollten noch über vier Jahrzehnte bis zur Neubebauung des Dorotheenplatzes vergehen: Erst 1986-89 verwirklicht man ein Projekt des damaligen Chefarchitekten Dr. Dietmar Fischer. Bis heute gilt es als eines der wenigen Beispiele ansprechender Plattenbauarchitektur in Leipzig.
Noch heute erinnern einige Orte an die ehemaligen Gärten und deren Besitzer: Eine Gasse heißt seit 1923 Apels Garten (später auch ein Restaurant). Während Erdmann Traugott mit der 1906 benannten Reichelstraße geehrt wird, weisen die Moritzstraße (1840-1985, heute Manetstraße) sowie die Alexanderstraße (seit 1848) auf seinen Sohn bzw. Enkel hin. Gleich mehrere Male wird Karl Heines Mutter bei Namensvergaben bedacht: Bereits erwähnt wurden Dorotheenstraße, -platz und -passage, um 1900 gibt es in der Nachbarschaft zwei Restaurants namens Dorotheenhof und -garten sowie eine gleichnamige Badeanstalt. Ein weiterer Dorotheenhof, diesmal ein Wohn- und Geschäftshauskomplex wird 1997 eingeweiht, schließlich trägt auch die 1999 neu erbaute Brücke über den Pleißemühlgraben wieder diesen Namen.
Den südwestlichen Abschnitt der Ringstraße, die nach Abbruch der Festungsanlagen entsteht, nennt man ab 1839 offiziell „An der Pleiße“, mit Beginn der Bauarbeiten am Neuen Rathaus kommt 1898 die Bezeichnung Rathausring auf. Die vorerst letzte Umbenennung erfolgt 1933 in Martin-Luther-Ring zum 450. Geburtstag des Reformators.
Frank Rohn, April 2011
Textquellen
- Innere Westvorstadt – Eine historische und städtebauliche Studie, Pro Leipzig e.V., 1998
- Gina Klank, Gernot Griebsch: Lexikon Leipziger Straßennamen, Verlag im Wissenschaftszentrum Leipzig, 1995
- 2010 – Verlorene Gebäude im Kolonnadenviertel Leipzig
- 2011 – Straßen und Plätze im Kolonnadenviertel (Kalender des Bürgervereins Kolonnadenviertel e.V. Leipzig, 2009/2010)
Bildquellen
- Stadtgeschichtliches Museum Leipzig
- Ansichtskartensammlung Rohn
- Luftbild: PUNCTUM/Bertram Kober