Im deutschen Kaiserreich setzte nach der Gründung 1871 ein bis dahin beispielloser wirtschaftlicher Aufschwung ein, neben der allgemeinen Aufbruchsstimmung und Euphorie sicher auch bedingt durch französisches Kapital, das als Reparationsleistungen reichlich ins Land floss. Davon profitierte natürlich auch das deutsche Vereinswesen.
Dies galt besonders für den Leipziger Kaufmännischen Verein, bereits 1858 als Interessenvertretung der einheimischen Kaufleute gegründet. Seine Mitgliederzahl war bis 1873 auf ca. 1200 angewachsen, so dass es immer schwieriger und aufwändiger wurde, geeignete Räume für das umfangreiche Veranstaltungsangebot anzumieten. Folglich beschloss man den Bau eines eigenen Vereinsheims und schrieb einen Architektenwettbewerb aus. Diesen konnte der Leipziger Bruno Leopold Grimm für sich entscheiden.
Grimm hatte schon 1870/71 mit dem Neubau des Vorderhauses von Bartels Hof Aufmerksamkeit erregt. Durch den Wiederaufbau der alten Marktfassade von 1523 im Innenhof sorgte er für den Erhalt des ältesten Leipziger Bürgerhausfragments. Auch das Schönefelder Schloss – zerstört während der Völkerschlachtskämpfe – entstand von 1871 bis 1876 nach Grimms Plänen neu. Zwei weitere seiner Bauten waren das Geschäftshaus der Leipziger Feuerversicherungsanstalt von 1869/70 (seit 1915 Standort des ehemaligen Hotel Astoria) sowie das 1877-79 errichtete Haus Markt 16, später als „Meßhaus National“ bekannt geworden. Heute befindet sich hier das als Geschäftshaus umgebaute Messehaus am Markt.
Am 5. Juni 1875 erfolgte der erste Spatenstich für das Kaufmännische Vereinshaus in der damaligen Schulgasse (seit 1876 Schulstraße). Bei den anschließenden Erdarbeiten erwies sich der Baugrund als recht problematisch, da dieser unmittelbar an die nordöstliche Festungsmauer der Pleißenburg grenzte. Außerdem hatte hier noch zwei Jahre zuvor die alte Ratsfreischule gestanden. Trotz aller Widrigkeiten waren jedoch bald die beiden Kellergeschosse fertig gestellt, in denen die Küche mit Anrichtezimmer, Vorratsräumen und Eiskeller untergebracht waren. Außerdem gab es einen Speiseaufzug, und ein Gartenbüfett. Ebenfalls im Keller waren die damals hochmodernen Zentralheizungsöfen sowie die obligatorische Kegelbahn (entlang der Schulstraße) zu finden.
Das Erdgeschoss war für Vereinsmitglieder durch den Haupteingang in der Schulstraße zu erreichen. Durch eine Vorhalle gelangte man in das repräsentative Vestibül mit Portierloge zur Haupttreppe, die durch ein Oberlicht erhellt wurde. Hier befanden sich (teilweise in Halbgeschosse gegliedert) Garderoben-, Toiletten-, Abstell- und Diensträume. Der nach Westen angeordnete Restaurantsaal war über eine breite Freitreppe mit dem parkähnlichen Außengelände verbunden, das bei entsprechendem Wetter als Bier- oder Kaffeegarten genutzt wurde. Zur Ausstattung des Erdgeschosses gehörten weiterhin vereinsinterne Räume wie Spiel-, Lese-, Billard- und Konversationszimmer. Die Büroräume des Vereins waren über einen separaten Eingang in der Schulstraße zu erreichen, da hier eine Stellenvermittlung für vereinsfremde Personen betrieben wurde. Der Nebeneingang erschloss ebenso den schmalen, kaum drei Meter breiten Wirtschaftshof sowie die beiden oberen Etagen über eine Nebentreppe.
Das erste Obergeschoss beherbergte den Festsaal, den man über die doppelläufige Haupttreppe erreichte. Der mit über 200 Quadratmetern größte Raum des Vereinshauses wurde wegen seiner viel gelobten Akustik auch als Konzert- oder Vortragssaal genutzt und gern von anderen Institutionen angemietet. An den Saal schlossen sich Empfangs-, Salon- und Sitzungszimmer sowie der Bibliothekssaal an.
Im deutlich niedrigeren Attikageschoss waren rund um den Lichtschacht die Wohnung der Gastwirtsfamilie, die Unterkünfte für das Dienstpersonal und diverse Nebenräume gruppiert.
Weiterhin befanden sich hier die Zugänge für die Saal- und Orchestergalerie.
Bruno Grimm orientierte sich bei der Fassadengestaltung an den Formen der italienischen Renaissance, fügte aber auch einige klassizistische Elemente ein, die Außenwände wurden als Putzbau ausgeführt, sämtliche Gliederungselemente in Elbsandstein. Die Langfront an der Schul- bzw. Markgrafenstraße maß 33 Meter, die Schauseite zum Promenadenring 22 Meter, dies ergab eine Grundfläche von 726 Quadratmetern, die Gebäudehöhe betrug 20 Meter. Die Angaben zur Bausumme schwanken (je nach Quelle) zwischen 225 000 und über 300 000 Reichsmark. Die festliche Einweihung des Kaufmännischen Vereinshauses fand im Januar 1877 statt. Um 1905 wurde die Umfassungsmauer des Vorgartens durch zwei anmutige Pavillonbauten ergänzt.
Während der schrecklichen Bombennacht vom 3. zum 4. Dezember 1943 versank, wie viele andere unwiederbringliche Bauten, mit dem Haus des Kaufmännischen Vereins eines der schönsten Leipziger Gesellschaftshäuser in Schutt und Asche.
Das Mitte der 1990er Jahre für die HypoVereinsbank errichtete Bürohaus kann den Vorgängerbau in keiner Beziehung auch nur annähernd ersetzen. Mit seinen sechs (!) Obergeschossen zielt es eher auf die Maximierung von Gewerbeflächen als auf städtebauliche Einordnung. Zudem verkörpert seine äußere Erscheinung leider nur architektonische Dutzendware.
Frank Rohn, Januar 2011
Textquellen
- Leipzig und seine Bauten, Herausgeber: Vereinigung Leipziger Architekten und Ingenieure, J. M. Gebhardt’s Verlag Leipzig 1892
- Leipziger Volkszeitung, Beilage Stadtleben, 1. und 8. Oktober 2010
Bildquellen
- Stadtgeschichtliches Museum Leipzig
- Ansichtskartensammlung Rohn